27.02.2015
Präses Manfred Rekowski hat in Indonesien die Partnerkirchen der Evangelischen Kirche im Rheinland besucht. Im Interview berichtet er von Eingriffen in die Religionsfreiheit der Christen, aber auch von positiven Beispielen interreligiöser Zusammenarbeit.
Ihre Reise nach Indonesien führte Sie in ein mehrheitlich muslimisches Land. Welchen Eindruck haben Sie von der Situation der Christen dort gewonnen? Der Besuch indonesischer Kirchen brachte Oberkirchenrätin Barbara Rudolph und mir sehr unterschiedliche Einblicke in das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen: In Indonesien erleben Christinnen und Christen, dass ihre Gemeinden an der Ausübung ihres verfassungsmäßigen Rechtes auf freie Religionsausübung faktisch gehindert werden. Die von einem Muslim gewünschte Taufe wird gewaltsam verhindert, der rechtlich mögliche und genehmigte Bau einer Kirche kann nicht realisiert werden oder eine Kirchenkonferenz kann nicht zusammentreffen. Selten ist es die unmittelbare Nachbarschaft, die einheimische Dorf- oder Stadtgemeinschaft, die sich zu Wort meldet, fast immer ist es eine aufgebrachte Menge radikalisierter Muslime, die verhindernd eingreifen. Auf der anderen Seite ist vielerorts eine beispielgebende und zum Teil seit vielen Jahren und Jahrzehnten gut entwickelte interreligiöse Zusammenarbeit zu finden.
Haben Sie Beispiele dafür gesehen? In Salatiga, einer Stadt mit fast 180.000 Einwohnern in Zentraljava, finden regelmäßig interreligiöse Gespräche unter Beteiligung von Christen, Muslimen, Buddhisten und Hindus statt. In dieser Region betreibt eine evangelische Kirche eine Schule, in der 65 Prozent der Schülerinnen und Schüler Muslime sind. Sie lernen Christinnen und Christen kennen, und sie erleben auch das christliche Verständnis von Toleranz. In einem kleinen Bergdorf, wo es Vergleichsweise nur geringe Einkommensunterschiede gibt, nehmen Christen und Muslime gemeinsam Verantwortung für ihr Dorf wahr, indem sie eine Radiostation betreiben und in einem Biogasprojekt zusammenarbeiten. Eine andere Gemeinde hat ein Müll- und Recyclingprojekt initiiert, von dem die gesamte Dorfgemeinschaft – Christen und Muslime – profitiert. Als eine Eskalation zwischen einzelnen Christen und Muslimen drohte, setzten sich die Leitungen der christlichen Gemeinde und der Moschee gemeinsam intensiv und erfolgreich für eine Deeskalation ein. Und wir hörten auch bewegende Lebensgeschichten, von Muslimen, die Christen wurden. Es gab zunächst meist erhebliche Irritationen in der muslimischen Herkunftsfamilie, aber es gelang schließlich doch die Beziehung und den Kontakt zueinander aufrecht zu erhalten. Inzwischen werden die jeweiligen religiösen Feste, die immer auch Familienfeste sind, gemeinsam gefeiert. In Hintergrundgesprächen erfuhren wir aber auch, dass vielen Christinnen und Christen Sorge bereitet, dass eine in Teilen des Landes zu beobachtende Arabisierung des „indonesischen Islams“ sich zu einer Gefahr für das Zusammenleben von Christen und Muslimen entwickeln könnte und so den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden könnte. Lokal begrenzt sind entsprechende Entwicklungen schon jetzt zu beobachten. Der indonesische Föderalismus ermöglicht es so, dass in einigen Gebieten des Landes Teile der Scharia Geltung erhalten haben.
Welche Bedeutung hat die Partnerschaftsarbeit rheinischer Kirchenkreise für beide Seiten? An den unterschiedlichen Stationen unsere Reise in Sumatra und Java trafen wir auf sichtbare Spuren der Partnerschaftsarbeit verschiedener rheinischer Kirchenkreise. Das ist ein Ausdruck von verlässlicher und engagierter Arbeit, die oft schon seit Jahrzehnten mit großem meist ehrenamtlichen Engagement geschieht. Hier wird deutlich, dass christliche Kirchen nie provinziell sind. Der gemeinsame Glaube verbindet über Kontinente hinweg. Der Leib Christi hat viele Glieder. In der Partnerschaftsarbeit wird aber auch deutlich, dass viele der großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel Klimaschutz, Globalisierung und Schutz des Regenwaldes in der Partnerschaftsarbeit auf der Handlungsebene vorkommen: In der Begegnung mit Menschen aus den Partnerkirchen kommen uns diese Fragen nahe und gemeinsam wird überlegt, wie wir in unseren jeweiligen Kontexten verändernd wirken können. Das reicht von Baumpflanzaktionen über Müllvermeidungs- und Recyclingprojekten bis zu Biogasprojekten. Auf dem Weg durchs Sumatra sahen wir kilometerweit große Plantagen, auf denen Kautschukbäume und Palmen wuchsen. Das waren Flächen, die früher Regenwald waren. Der Regenwald ist ökologisch unbezahlbar, wirtschaftlich scheinen sich aber nur Kautschukbäume und Palmen zu rechnen. Für die Nachfrage nach diesen Produkten –Kautschuk und Palmöl – sorgen insbesondere die führenden Industrienationen. Im Ergebnis nehmen die Natur und das Klima Schaden.
Welche Rolle spielt die Geschichte der Mission heute noch? Dass es in Teilen Indonesiens, beispielsweise in Sumatra, fast volkskirchliche Strukturen gibt, dass hier Kirchengebäude vielfach das Stadtbild prägen, hat mich überrascht. So deutlich war mir bisher auch nicht, dass die Missionsgeschichte Sumatras von der heimischen Kirchen offenkundig uneingeschränkt positiv bewertet wird. Ludwig Ingwer Nommensen, ein Missionar der Rheinischen Missionsgesellschaft, wird verehrt – nicht nur von den Christen, sondern auch öffentlich und vom Staat finanziert. Eine Missionsarbeit, die die Kultur der in Indonesien lebenden Menschen achtet, und nicht in einer großen Koalition gemeinsame Sache mit Kolonialisten machte, war und ist für viele Menschen in Indonesien eine Bereicherung. In der rheinischen Kirche wird viel kritischer über die Missionsgeschichte diskutiert als hier in Indonesien. Was das für unser eigenes Missionsverständnis bedeutet, ist dabei eine Frage, der ich gerne weiter nachgehen möchte. Auf Java trafen wir zwei Freiwillige aus Deutschland. Diese jungen Erwachsenen arbeiten für ein Jahr in Indonesien und unterstützen die Arbeit der heimischen Kirche. Einer ist durch die Vereinte Evangelische Mission ausgesandt worden. Beide sammeln unter anderem in einem Kindergarten, in Schulen und der Kirche Erfahrungen in einem anderen kulturellen Kontext. Ich bin überrascht, wie viel Eigenverantwortung den jungen Leuten übertragen wird und erfreut, wie engagiert sie sich einbringen. Dieses Auslandsjahr ist sicher für sie eine prägende und nachhaltige Erfahrung.
Präses Manfred Rekowski war zehn Tage in Indonesien, um den dortigen Partnerkirchen der Evangelischen Kirche im Rheinland einen Antrittsbesuch abzustatten. Bis zum 17. Februar waren er und die für Ökumene zuständige Abteilungsleiterin, Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, auf Sumatra und Java unterwegs. Rekowski hat auf seiner Reise neben Kirchenleitern anderer VEM-Mitgliedskirchen auch Vertreter muslimischer Organisationen getroffen, um sich ein Bild vom Zusammenleben der Religionen in Indonesien zu machen.