29.05.2019
Als ich vor 41 Jahren meinen Mann kennen lernte und frisch verliebt war, bin ich zu allen meinen Freundinnen gegangen, habe ihnen von diesem Mann vorgeschwärmt und gesagt: „Den müsst ihr kennenlernen!“ Dass ich von diesem Mann so begeistert war, hieß aber nicht, dass ich die Männer meiner Freundinnen schlecht gemacht hätte – nein, es ging mir einfach darum, dass sie den Mann kennen lernten, der für mein Leben so wichtig war. Ich weiß, der Vergleich hinkt gewaltig! Aber für mich ist er trotzdem ein gutes Bild für das, was Mission bedeutet: Ich erzähle anderen von dem Jesus Christus, der für mein Leben eine so große Bedeutung hat und sage ihnen: „Den müsst ihr einfach mal kennenlernen!“ Zeigen, was ich liebe – das ist meine Motivation zur Mission, und aus dieser Motivation heraus ergibt sich auch eine klare Ethik. Probleme mit der Mission gibt es immer da, wo sie mit Werbung verwechselt wird. Jesus Christus ist kein Produkt, von dem ich Menschen überzeugen müsste. Der christliche Glaube ist keine Ware, die ich an die Kunden zu bringen habe. Stattdessen geht es um eine Beziehung: Gott sehnt sich danach, mit Menschen zusammen zu leben; er wünscht sich, dass Menschen ihm vertrauen und ihm nachfolgen. Ich habe das erlebt, es macht mein Leben reich, und darum möchte ich anderen davon erzählen. „Ja, aber was ist mit der Wahrheit?“, wendet dann vielleicht jemand ein. „Ist nicht allein Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben?“ Hier finde ich es wichtig, zu verstehen, was die Bibel mit „Wahrheit“ meint. „Wahrheit“ ist nämlich nicht etwa ein Satz richtiger Glaubensinhalte (Jesus ist Gottes Sohn, er ist für unsere Sünden gestorben etc.). In der Bibel ist Wahrheit immer ein Beziehungsbegriff: Gottes Wahrheit ist seine Treue zu Israel, zu den Menschen, auf die er zugeht. Wenn Jesus für mich der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, heißt das: Ich habe über ihn zu Gott gefunden. Seine Wahrheit hat mich berührt und erleuchtet – nicht ich habe diese Wahrheit, sie hat mich! Und er ist derjenige, der mir Leben gibt. Alles das kann ich so deutlich aussprechen, ohne den Glauben einer anderen Person schlechtmachen zu müssen. Wie man aus dieser Wahrheit lebt, zeigt mir zum Beispiel die kleine Protestantische Kirche in Ost- und Mitteljava (indonesisch abgekürzt GKJTU), eine winzige christliche Minderheit in einer überwältigenden muslimischen Mehrheit. Schon vor über dreißig Jahren legte diese Kirche für sich fest, dass sie das Zusammenleben mit Muslimen nicht als Ko-Existenz verstehen wollte, also einfach ein friedliches Nebeneinander, sondern als Pro-Existenz: Die Kirche wollte
für ihre muslimischen Nachbarn da sein. Zum Beispiel in dem ärmlichen kleinen Dorf Cuntel an den Hängen des Vulkans Merbabu. Mit Hilfe der Kirche ist in den letzten Jahren dort ein bescheidener Wohlstand eingekehrt. Die GKJTU hat allen Bauern in Cuntel – die meisten von ihnen sind Muslime! – geholfen, ihre Landwirtschaft ökologisch umzustellen. Damit sanken zunächst die Erträge. Gemeinsam haben die Dörfler überlegt, wie sie weiteres Einkommen erwirtschaften können und entwickelten das Projekt eines basis-orientierten Tourismus: Besucher können in schlichten Privatunterkünften bei den Bauern übernachten, das Dorfleben kennen lernen, und, wenn sie wollen, sogar ein bisschen in der Landwirtschaft helfen. Cuntel liegt rund 1700 Meter hoch; Luft und Wasser sind frisch und klar, der Blick auf die Vulkane der Umgebung ist berauschend. Für Menschen aus Großstädten wie Jakarta eine geradezu himmlische Umgebung. Und teuer ist es hier auch nicht. Also kommen immer mehr Touristen: Einzelne und Familien, aber auch Schulklassen und Gruppen. „Das hat auch eine evangelistische Seite“, erzählt der Pfarrer. „Die Leute wohnen ja bei Familien, und hier im Dorf gibt es eben auch christliche Familien, die Gastgeber sind. Wenn dann muslimische Gäste kommen, lernen sie auf diese Weise christliches Leben kennen, und die Christen erzählen ihnen etwas über ihren Glauben. Das baut nicht nur Vorurteile ab; auf diese Weise sind auch schon Muslime zum christlichen Glauben gekommen.“ Klare Erkennbarkeit als Christen, die Bereitschaft, über den eigenen Glauben Rechenschaft abzulegen, und zugleich gute Nachbarschaft und gemeinsames Engagement mit Menschen anderen Glaubens: Das ist eine gute Ethik der Mission. Pastorin Dr. Claudia Währisch-Oblau, Mitglied des Vorstands der VEM und Leiterin der Abteilung Evangelisation